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Die Geschichte der Fahne der Neustädter Feuerwehr

 

Die Neustädter Feuerwehr wurde am 09. Juli 1849 als „Feuer-Rettungs-Schaar“ gegründet. Mitglieder selbiger durften nur aktive Turner des Neustädter Turnvereins sein. Träger der „Feuer-Rettungs-Schaar“ war damit der Turnverein unserer Stadt.

 

August Voogt lud als Vorsteher des Turnvereins in einem Rundschreiben für den 02. September 1849 zu einem „Turn- und Fahnenfest“ ein. Er schrieb: „Eine Anzahl Jungfrauen beabsichtigt, dem Turnverein zu Neustadt eine Fahne zu schenken, infolgedessen letzterer beschlossen hat, die Übergabe dieser Fahne durch ein Fest zu verherrlichen und hierzu die Turnerscharen anderer Städte einzuladen.“

 

Die Fahne wurde durch 18 Jungfrauen gestiftet. Ihre feierliche Weihe erfolgte auf dem damaligen Turnplatz, welcher als Festplatz bei „Kastanien-Wenzels“ (heute das unbebaute Eckgrundstück vor Blumen Clauß gegenüber Fleischer Burckhardt) auf der Böhmischen Straße hergerichtet wurde.

 

Als Gäste wurden Turner aus „Schandau", Bischofswerda, Neusalza, Pirna, Stolpen und Sebnitz begrüßt. Die Weiherede hielt der Vorsteher des Turnvereins August Voogt. Nach der Fahnenweihe wurde geturnt. Am Abend fand dann im Schützenhaus ein Turnerball statt, geprägt von großer Freude über das Geschenk, welches der Turnverein erhalten hatte.

 

Am 05. Januar 1852 erging an den Stadtrat von Neustadt eine Verordnung der Königlichen Kreisdirektion Dresden in der es hieß, dass der Turnverein sofort aufzulösen ist und seine Effekten und Papiere zu beschlagnahmen sind. Hintergrund war die Feststellung „da sowohl im Turnrate als auch unter den Mitgliedern eine große Anzahl solche Männer seien, die vordem Mitglieder des demokratischen Vaterlandsvereins gewesen waren“. Dieser Verordnung kam der Stadtrat am 10. Januar 1852 nach und alle Akten wurden beschlagnahmt. Nur eines fehlte – die Fahne.

 

Trotz umfangreicher Recherchen des Ratsdieners Knobloch, u.a. bei dem Sohn des früheren Vorstehers August Voogt, konnte die Fahne vorerst nicht gefunden werden. Nach zwei Tagen wurde dem Ratsdiener mitgeteilt, dass sich die Fahne bei Rechtsanwalt Dr. Schaffrath befände, da der Turnverein diese an ihn aufgrund einer offenen Forderung verpfändet hatte. Dieser Umstand wurde der Kreisdirektion mitgeteilt, jedoch wies diese den Stadtrat an, die Fahne zu beschlagnahmen und selbst in Verwahrung zu nehmen. Am 20. Februar 1852 lag die „verschwundene“ Fahne dann plötzlich „auf dem Saale vor dem Expeditionslokale des Ratsregistrators“ und wurde nun in den sicheren Gewahrsam genommen.

 

Seit dem Jahr 1858 bestand die „Rettungscompagnie“. Sie hatte keine Fahne. Deshalb richtete das Direktorium der „Rettungscompagnie“ an den Rat ein Gesuch, ihr die ehemalige Turnerfahne zu überlassen. Dieses Gesuch wurde von der Kreisdirektion abgelehnt.

 

Deshalb sah man sich genötigt, eine neue Fahne zu weihen. Das geschah am Sonntag, dem 03. August des Jahres 1862 um 15:00 Uhr auf dem Turnplatz. Diesmal waren es 53 Jungfrauen, die die Fahne stifteten und den Turnern der „Rettungscompagnie“ widmeten. Es ist unsere, heute 150 Jahre alte Fahne der Neustädter Feuerwehr. Das Turn- und Feuerwehrfest wurde für zwei Tage angekündigt, dem Tag der Weihe und dem darauf-folgenden Montag. Begleitet wurde die Fahnenweihe von Festreden, Turnübungen sowie einem Festumzug zum Schützenhaus, wo ein Festball stattfand.

 

Der Montag begann um 08:00 Uhr mit einer Feuerwehrübung, welche sich zu damaliger Zeit so im Programm liest: „Früh 8:00 Uhr - Zusammenruf der Rettungscompagnie durch das übliche Hornsignal, darauf Feuerwehrprobe und Revue über die Mannschaften und Rettungsapparate“

 

Fahnenlied & Jungfrauen

Festkarte

 

Festordung

Turn- und Feuerwehrfest

 

Nachzutragen ist noch, dass der Kommandant Ulbricht 1863 sein Gesuch an den Stadtrat erneuerte, doch ohne bei der Kreisdirektion nachzufragen, die alte Turnerfahne herauszugeben. Diesmal wurde das Gesuch durch den Stadtrat genehmigt. Am 04. September 1864 präsentierte er nach 12 Jahren Odyssee seiner „Rettungscompagnie“ die alte Turnerfahne. Über deren Verbleib ist heute leider nichts mehr bekannt.

 

Unsere Fahne hat zwei Weltkriege überstanden, wurde bei unzähligen Festen, Umzügen und Veranstaltungen mitgeführt und präsentiert, deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass die Zeit ihre Spuren hinterließ. Wer die bescheidenen Verhältnisse unserer Feuerwehr für die Unterbringung von Bekleidung und Ausrüstung bis zum Jahr 1997 kennt, der weiß auch, dass diese für die Unterbringung unsere Fahne nicht optimal waren. Auch wurde in DDR-Zeiten den Dingen, welche nicht unmittelbar mit der „sozialistischen Kultur“ zu tun hatten, wenig Beachtung geschenkt. Und so war die Fahne zwar da, jedoch den Spruch „Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr“ hätte man am liebsten entfernt. Diese Einstellung begründet auch die mangelnde Verantwortung für derartiges Kulturgut.

 

20. Jahrestag des Wirkungsbereiches Neustadt 1978

 

Fahnenkommando von links nach rechts: Kamerad Christian Krell, Kamerad Bernd Kujau, Kamerad Günter Neumann

 

 

Ganz persönlich ist mir das Jahr 1983 in Erinnerung. Mit 24 Jahren verantwortlich für das Bild „Feuerwehr“ im großen Festumzug zur 650-Jahrfeier unserer Heimatstadt, wurde ich erstmalig direkt mit der Thematik „Traditionsfahne“ konfrontiert. Denn unsere zu diesem Zeitpunkt 121 Jahre alte Fahne sollte am Festumzug auf alle Fälle teilnehmen, aber sie war in einem erbärmlichen Zustand:

 

  • Die Fransen teilweise abgerissen
  • Tüll und Seide beschädigt (zerrissen und beschmutzt)
  • modriger Geruch umgab die Fahne

 

In diesem Zustand war es nur eine Frage der Zeit, bis die Fahne völlig zerschlissen und verrottet war. Und ob sie den Umzug bei eventuellem Regenwetter überstanden hätte, ist fraglich.

 

Deshalb wurde nach einer Möglichkeit gesucht, die Fahne zu restaurieren. Wolfgang Schreiber der Leiter der Arbeitsgruppe „Festumzug“ versuchte es im Museum für Stadtgeschichte in Dresden, ob denn so etwas überhaupt möglich ist. Es klappte leider nicht. Da ich mich mit vielen Leuten darüber unterhalten hatte, fiel der Name „Textilzirkel des Fortschrittwerkes“. Immer dienstags trafen sich die Mitglieder um Irmgard Schulze in den Garderoben des Kreiskulturhauses. Im zeitigen Frühjahr 1983 bin ich mit der Fahne über der Schulter in das Kreiskulturhaus gegangen und habe nachgefragt. Und es hat geklappt. Nach einer halben Stunde Gespräch nahmen sich die Frauen um Irmgard Schulze der Fahne an. Allerdings wollten sie jedoch erst einmal prüfen, ob eine Reparatur überhaupt möglich ist. Schon bald zeigte sich aber, dass die ganze Fahne erneuert werden muss. Dazu wurde die Fahne vorsichtig aufgetrennt um die einzelnen Materialien zu sichten.

 

Somit wurde der Aufbau sichtbar.

 

Der Kern besteht aus einem derben Leinentuch in den Abmessungen der Fahne. Darüber befindet sich auf beiden Seiten eine Lage Seide. Auf dieser sind die Schmuckelemente, diese bestehen aus sogenannter Nadelmalerei, aufgenäht. Auf der einen Seite befinden sich die vier „F“ der Turner, nämlich „Frisch, Fromm, Fröhlich und Frei – Neustadt – Gut Heil! – 1862“ sowie auf der anderen Seite 4 Schmuck-elemente und der Leitspruch unserer Feuerwehr „Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr“. Den Abschluss bildet eine Lage Tüll, welcher über die gesamte Fläche in ca. 4 cm x 4 cm kleinen Quadraten aufgesteppt wurde. Eingesäumt ist die Fahne mit ca. 8 cm langen Baumwollfransen.

 

Die Übernahme der Arbeit war zugesichert, jedoch war im Jahr 1983 das Material ein Problem.

 

Dank dem Arrangement von Walter Kopprasch, der zu dieser Zeit noch in leitender Stellung im VEB Kunstblume in der ehemaligen Blumenfabrik „Gebrüder Clauß“ auf der Külzstraße arbeitete, konnte aus Altbeständen sowohl die Seide wie auch der Tüll beschafft werden. Der Leinenkern und natürlich die Nadelmalereien konnten wieder verwendet werden. Die Fransen wurden durch Frau Schulze im „Obererzgebirgischen Posamenten- und Effekten – Werk“ in Annaberg-Buchholz bestellt. Dieser Betrieb existiert auch heute noch als OPEW Annaberg GmbH.

 

Die Frauen des Textilzirkels von links nach rechts.: Frau Schmidt, Frau Bunge, Frau Neumann, Frau Anton, Frau John, Frau Schulze, Frau Unger

 

In 365 Stunden und mit großem handwerklichem Geschick entstand unsere Traditionsfahne nach 121 Jahren wieder wie neu. Sie sollte ja zum großen Festumzug dabei sein. Die Fahne war rechtzeitig fertig, es fehlten jedoch noch die Baumwollfransen. Diese kamen einen Tag vor dem Festumzug per Eilboten an. Irmgard Schulze färbte die weißen Fransen noch mit schwarzem Tee ein, damit sie auch zur Fahne passten. Nachdem auch diese angenäht waren, ließ es sich unser Ehrenmitglied Walter Sauer nicht nehmen, die Fahne wieder sicher an der Stange zu befestigen. Begleitet von Turnern führte sie das Bild zur Feuerwehrgeschichte Neustadts im Festumzug an.

 

Ein Schmuckstück.

 

Den Frauen des damaligen Textilzirkels gebührt auch heute noch unser Dank. Denn ohne diese „Rettungsaktion“ wäre ein wichtiger Zeuge unserer Feuerwehrgeschichte der Nachwelt nicht mehr erhalten geblieben.

 

Unsere neue Fahne von vorne

...und von hinten

 

Nach der Wiedervereinigung erlangte unsere Feuerwehrfahne wieder die Bedeutung die ihr zusteht. Als älteste Fahne im Landkreis war sie oft als Patenfahne zur Weihe anderer Feuerwehrfahnen im Landkreis gefragt. Aber auch weite Reisen zu unseren Partnerfeuerwehren in Neustadt an der Donau und Stuttgart oder zu den Treffen der „Neustadtfeuerwehren in Europa“ machte die Fahne.

 

Übergabe eines neuen Tanklöschfahrzeuges 16/24 am 28. März 1992 auf dem Untermarkt in Neustadt in Sachsen

 

Fahnenkommando von links nach rechts: Kamerad Udo Preusche, Kamerad Wolfgang Schäfer, Kamerad Wolfgang Siegel †

 

Im hohen Alter darf man in den Ruhestand gehen. Deshalb wurde am 28. Juli 2012, fast auf den Tag genau nach 150 Jahren eine neue, der alten jedoch im Detail gleichende Fahne der Neustädter Feuerwehr geweiht. Die alte Fahne erhielt einen würdigen Platz hinter Glas, wo sie der Nachwelt erhalten bleiben und von der traditionsreichen Geschichte unserer Freiwilligen Feuerwehr Neustadt in Sachsen künden soll.

 

Gut Wehr.

 

Unsere Fahne im Ruhestand

 

Quellenverzeichnis:

Niederschriften der Feuer-Rettungs-Schaar von 1849 bis 1858

Niederschriften der Rettungscompagnie vom 1858 bis 1864

Beilage der Zeitung für das Meißner Hochland vom 21. Juni 1923

Eigene Aufzeichnungen

Bilder:

Privat Peter Mühle (2)

Reproduktionen Bilder und Dokumente: Werner Thalheim